H Hausarbeit

Irene Stoehr

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DOI

10.34663/9783945561126-09

Citation

Stoehr, Irene (2016). H Hausarbeit. In: Wissen Macht Geschlecht: Ein ABC der transnationalen Zeitgeschichte. Berlin: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.

Von Hausarbeit zu „Care“

„Hausarbeit“ scheint schlichtweg verschwunden zu sein. Zusammen mit „Frau“ verließ sie spätestens um die Jahrtausendwende die Bühne des Sagbaren, ging abschiedslos aus dem Diskurs, nicht nur dem der Gender- und Queerforschung und der zwischen diesen Forschungsansätzen oszillierenden Szene. Die hat übrigens nicht etwa gleichermaßen „Feminismus“ ad acta gelegt, was nahe liegen könnte. Der „Hausarbeit“ aber haftet wie der „Frau“ offenbar etwas Altmodisches, wenn nicht Naturhaftes an. Dabei lässt sich der einen nicht einmal der gleiche Vorwurf machen wie der anderen. Oder glaubt jemand, dass die Benennung und Unterscheidung von Hausarbeit deren soziale Realität und Zuschreibung erst konstruiert? Ein solcher Verdacht hatte bekanntlich seit Judith Butler zu einer Entnennung binärer Geschlechterbezeichnungen geführt. Ganz offensichtlich ist aber die Hausarbeit selbst nicht verschwunden. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Putzen, Waschen, Einkaufen, Nahrung zubereiten, Betreuen von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen immer noch in privaten Haushalten und überwiegend von Frauen unbezahlt erledigt wird. Der Traum vom Verschwinden der Hausarbeit, genährt von industriellem Fortschrittsglauben oder Vergesellschaftungsutopien und verbunden mit der Zuversicht auf geschlechterpartnerschaftliche Bewältigung von Residuen dieser Arbeit, hat sich nicht wirklich erfüllt.

Wie kommt und was bedeutet es also, dass heute kaum noch öffentlich von Hausarbeit gesprochen wird? Und warum haben ausgerechnet Feministinnen den Begriff fallen lassen, obwohl es doch Feministinnen waren, die Mitte der 1970er Jahre Hausarbeit als unbezahlte Frauenarbeit überhaupt entdeckt und sichtbar gemacht haben, woran Barbara Duden (2009) vor einigen Jahren mit Recht erinnerte? Handelt es sich lediglich um eine Umbenennung im Interesse einer semantischen Modernisierung, etwa weil der Begriff „Care“, der nunmehr oft gefunden wird, wenn nach „Hausarbeit“ gesucht wird, fraglos besser zu „Gender“ passt, oder steckt mehr hinter diesem Begriffswandel? Im Folgenden werde ich das Verschwinden der Hausarbeit aus der Perspektive der deutschen Frauenbewegung und ihrer Geschichte in den Blick nehmen.

Auf der ersten feministischen Sommeruniversität 1976 in Berlin präsentierten Gisela Bock und Barbara Duden (1977) die These, dass Hausarbeit als unbezahlte Frauenarbeit in kleinfamiliären Einzelhaushalten ein historisch neues Phänomen sei, dem für die Durchsetzung der kapitalistisch organisierten Industriegesellschaften zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und den 1960er Jahren eine entscheidende Bedeutung zukam. Der Vortrag der beiden Historikerinnen war der Auftakt zu einer feministischen Kampagne, die „Lohn für Hausarbeit“ forderte, was wiederum auf heftige Widerstände auch innerhalb der Frauenbewegung stieß – beides freilich nicht zum ersten Mal in Deutschland, wie sich später herausstellte. Am Ende des deutschen Kaiserreichs, kurz vor dem Ersten Weltkrieg, wurde in der frühen deutschen Frauenbewegung viele Jahre über den Wert der Hausarbeit und die Forderung ihrer Entlohnung öffentlich debattiert. Schon damals fassten einige Protagonistinnen das Spektrum dieser Arbeit beträchtlich weit: So unterschied die junge Elly Heuss-Knapp 1912 die „mechanischen“ Tätigkeiten von den „geistig seelischen Aufgaben am Menschen“, die immer mehr Zeit und Aufwand erforderten. Sie entsprachen ungefähr denen, die bei Bock und Duden 1976 unter „Liebe als Arbeit“ gefasst wurden. Weitsichtig warnte Heuss-Knapp auch vor falschen Hoffnungen auf Verringerung oder Abschaffung der häuslichen Arbeit im Zuge des technischen und gesellschaftlichen Fortschritts, die in sozialistischen Frauenorganisationen wie auch im fortschrittlich-radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung verbreitet waren.

Den entscheidenden Impuls zu dieser ersten Diskussion hatte Käthe Schirrmacher im Herbst 1905 gegeben (Stoehr 1981). Auf einer Versammlung des Verbandes Fortschrittlicher Frauenvereine trat die promovierte Romanistin gegen die Thesen der Hauptrednerin Maria Lischnewska zur „wirtschaftlichen Reform der Ehe“ an, die auf ein bedingungsloses Plädoyer für die Erwerbstätigkeit aller verheirateten Frauen hinausliefen. Eine „Kameradschaft der Geschlechter“ sei so lange nicht möglich, so die Lehrerin Lischnewska, wie die Ehefrau „keine wirtschaftlichen Werte hervorbringe“, sollte heißen: so lange sie nicht erwerbstätig war. Schirrmacher hielt dagegen, dass die häusliche Frauenarbeit nicht nur die „conditio sine qua non der außerhäuslichen Berufsarbeit des Mannes“, sondern selbst eine „produktive Tätigkeit“ sei. Sie pointierte eine ökonomische Schuld der „Allgemeinheit“ gegenüber der Hausarbeiterin, auch der unverheirateten. Schirrmachers Auditorium – die Versammlung des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung – lehnte ihre Vorschläge zur Bewertung der häuslichen Frauenarbeit als unzeitgemäß und „individualistisch“ ab und griff das Thema nicht mehr auf. Die sich später anschließende Debatte wurde hauptsächlich unter Vertreterinnen des gemäßigten Mehrheitsflügels der Frauenbewegung geführt und dabei Schirrmachers Thesen entsprechend moderiert. Auf dem Deutschen Frauenkongress 1912 in Berlin einigten sich die Delegierten schließlich auf den Vorschlag Marianne Webers für eine gesetzliche Regelung, der zufolge jede Ehefrau, und nur diese, Anspruch auf ein Haushaltsgeld sowie eine festzulegende Summe Sondergeld für ihre persönlichen Bedürfnisse habe, die vom Lohn des Familienernährers abzuzweigen wären. Mit diesem Ergebnis, das der Abhängigkeit der Frau von ihrem Ehemann ebenso Tribut zollte wie der sozialen Ungerechtigkeit, und das den Staat mitnichten in die Pflicht nahm, verstummte die Debatte. Der Erste Weltkrieg führte den Streit vollends ad absurdum. In der deutschen „Heimatfront“ rührten Frauen von 1914 bis 1918 produktive und reproduktive Arbeiten, öffentliche und private Dienste für die Männerfront und das männerlose Vaterland zusammen, ohne nach Wert oder Lohn zu fragen.

Immerhin haben diese vaterländischen Dienstleistungen Frauen gesellschaftlich aufgewertet, ihnen zum Wahlrecht verholfen und die Elite der Frauenbewegung in politische Mitverantwortung für den neuen Staat gebracht. Während der Weimarer Jahre führten Geldentwertung, Verarmung und Arbeitslosigkeit im Verein mit den Anforderungen der neuen Wissenschaften vom Menschen, insbesondere der Psychologie, der Erziehungswissenschaft und der Haushaltsreform, zu einem Strukturwandel und zugleich zu einer Expansion der Hausarbeit. Familienfrauen mussten in großem Ausmaß – und nunmehr weitgehend ohne Dienstboten – Lohneinbußen kompensieren sowie gestiegenen Ansprüchen an Konfliktbewältigung, emotionalem Rückhalt und Kinderförderung gerecht werden. Geldforderungen erübrigten sich, weil Geld nichts wert oder weil keines vorhanden war. Hausarbeit erschien unbezahlbar wie nie zuvor und wurde zugleich öffentlich verhandelbar, in Medien und mittels einer rührigen doppelten Hausfrauenlobby: Die beiden 1915 gegründeten reichsweiten Hausfrauenverbände – einer für die urbanen, einer für die ländlichen Hausfrauen – expandierten und wurden ein mit der organisierten Frauenbewegung konkurrierender Machtfaktor. Zum großen Thema der 1920er Jahre avancierte die Rationalisierung und Effizienzsteigerung der Hausarbeit, von der Industrie propagiert und mit nur leicht differierenden Intentionen von einer „Hausfrauenbewegung“ aufgegriffen (Kittler 1980, 61 ff.). Ihre Wortführerinnen, Haushaltsexpertinnen und einzelne Vertreterinnen verschiedener Frauenorganisationen, wollten den Frauen mit rationellen Arbeitsabläufen und zeitsparenden Geräten vor allem mehr freie Zeit und Autonomie verschaffen. Zugleich waren sie an der Aufwertung der Hausarbeit interessiert und lehnten deshalb deren ökonomische Einbindung in die kapitalistische Ökonomie nicht ab, die der industrielle Gesamtkapitalist durchzusetzen sich anschickte. Der tat es wiederum – und gerade hierin folgten ihm die Frauen, wenn auch mit eigenen Intentionen – vor allem um der nächsten Generation willen, für deren Erziehung neue wissenschaftliche Standards eine hauptberufliche Beschäftigung der Mutter unerlässlich machten (Kittler 1980, 61 ff.).

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der deutschen Bundesrepublik der hierarchisch strukturierte Vater-Mutter-2 Kinder-Haushalt politisch, ökonomisch und rechtlich gefördert und in den 1950er und 1960er Jahren zur nahezu universalen Lebensform. Müttern, die zum Familienlohn durch eigene Erwerbstätigkeit beitragen mussten, wurde einmal monatlich erlaubt, der Arbeit ohne Lohnverlust fernzubleiben und stattdessen in der Familienwohnung liegen gebliebene Hausarbeit zu verrichten. Dieser „Hausarbeitstag“ wurde allerdings nicht als bezahlte Hausarbeit diskutiert, sondern häufig als ein Sonderrecht des Arbeitsschutzes für Frauen angesehen, welches – wie Carola Sachse in ihrer eindrucksvollen Studie hervorgehoben hat – mit dem Artikel 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik kollidierte, in dem zum ersten Mal das Gebot der Gleichberechtigung von Männern und Frauen ohne Einschränkungen formuliert war. Mit der Reduktion der Wochenarbeitszeit (5-Tage-Woche) im Laufe der 1960er Jahre erledigte sich dieses zweifelhafte Frauenvorrecht in der Bundesrepublik von selbst, während es in der DDR trotz Gleichberechtigung bezeichnenderweise bis zu deren Eingliederung bestehen blieb (Sachse 2002).

Abb. 1: Haushalt: Carola Sachses 2002 im Wallstein Verlag erschiene Habilitationsschrift. (© Privates Foto und Buch: Birgit Kolboske)

Abb. 1: Haushalt: Carola Sachses 2002 im Wallstein Verlag erschiene Habilitationsschrift. (© Privates Foto und Buch: Birgit Kolboske)

Die geschlossene hierarchische Kleinfamilie sowie die der Frau darin gesellschaftlich zugewiesene Hausfrauenrolle war neben dem Abtreibungsverbot das wichtigste Angriffsziel der Neuen Frauenbewegung über ihre Entstehungsphase der frühen 1970er Jahre hinaus. Dass um 1975 die Forderung nach „Lohn für Hausarbeit“ wieder aufkam, erschien deshalb vielen paradox. Innerhalb der Frauenbewegung handelte es sich dabei vielleicht um den ersten Versuch, der bereits dominierenden Unterdrückungs- und Opferrhetorik ein aktives Frauenbild entgegenzusetzen. Spätere innerfeministische Offensiven gegen einen als dominant wahrgenommenen Hang zum kollektiven Selbstmitleid reichten von Konzepten der weiblichen Mittäterschaft über das Müttermanifest bis hin zum Affidamento, einem zeitweise auch in Westdeutschland einflussreichen politischen Konzept italienischer Feministinnen, dem zufolge weibliche Freiheit auf der Grundlage von Beziehungen zwischen Frauen entsteht. Zugleich war die neue, vorwiegend jungakademische Frauenbewegung mit ihrer Kritik an der „Hausfrauenrolle“ ein wichtiger Impuls für die Formulierung einer anderen feministischen Position, die das Hausarbeitsproblem nicht von einer der Soziologie entlehnten Rollentheorie her (viele Feministinnen waren Soziologinnen), sondern mehr historisch und politökonomisch angehen wollten. Bielefelder Theoretikerinnen erarbeiteten über Jahre eine erweiterte marxistische Analyse der Haus- und Subsistenzarbeit als besonderes und zugleich grundlegendes Ausbeutungsverhältnis im Kapitalismus.

Berliner Feministinnen entwickelten in Kooperation mit radikalfeministischen Gesellschaftskritikerinnen in den USA, Großbritannien und Italien die politische Forderung „Lohn für Hausarbeit für alle Frauen vom Staat“, die allerdings in der westdeutschen feministischen Öffentlichkeit weitgehend verworfen wurde. Die meisten nach Emanzipation strebenden Frauen mochten sich auf keinen Fall mit Hausfrauen identifizieren und auch nicht darauf vertrauen, dass Männer gerne die Hälfte der Hausarbeit übernehmen, wenn sie nur bezahlt würde. Vor allem galt die Abschaffung der Geschlechterdifferenz gewissermaßen als erstes Gebot der Neuen Frauenbewegung. Dagegen beruhte das Lohn-für-Hausarbeit-Konzept wie die Hausarbeit auf einer polarisierenden Geschlechterordnung, wie Barbara Duden in ihrem Rückblick von 2009 hervorhebt. Allerdings stellt sie dieser historischen Position nunmehr die New Economy gegenüber, die seit den 1970er Jahren das One Adult Worker Modell nahezu weltweit durchgesetzt hat. Der seitdem zunehmende ökonomische und gesellschaftliche Zwang jedes Individuums zur Erwerbsarbeit, ob mit oder ohne Kindern oder Partner, braucht dagegen, so Duden, die Gleichheitsrhetorik (Duden 2009). Über „Rhetorik“ hinaus wird die neue – neoliberale – Ökonomie durch Gesetze unterstützt, die bis heute bei der Umsetzung des Artikel 3 des Grundgesetzes auch Frauen privilegierende gesetzliche Ungleichheiten abschaffen, die beispielsweise geschiedenen Frauen oder Witwen bislang andere Arten von Einkommen als durch Erwerbsarbeit verschafften.

Seit den 1990er Jahren wird im feministischen Diskurs die Hausfrau schleichend durch die „Care-Arbeiterin“ ersetzt, bzw. diese füllt ein Vakuum, welches das Schweigen über die Hausfrau bereits hinterlassen hatte. Im Unterschied zu Hausarbeit umfasst Care-Arbeit nicht nur unbezahlte, sondern darüber hinaus alle schlecht beziehungsweise prekär bezahlten, außerhäuslichen Dienste an Menschen. Im Vergleich zu den Hausarbeitsdebatten früherer Jahre interessiert die Auseinandersetzung um „Care“ oder „Sorge“ viel mehr Menschen verschiedenen Geschlechts. Der Begriff „Care“ wurde in Deutschland mit einer Kontroverse um die Unterscheidung zwischen einer „männlichen“ Moral der Gerechtigkeit und einer „weiblichen“ Moral der Fürsorge populär, die das Buch In a Different Voice der amerikanischen Soziologin Carol Gilligan ausgelöst hatte. Die deutsche Übersetzung erschien 1985 und passte gut in das Jahrzehnt des Streites um Differenz, des cultural turn sowie der ökologischen Bewegung, in dem soziale und ökonomische Fragen für das alternative Bewegungsspektrum zweitrangig wurden. Nicht zufällig zeitgleich mit der Formierung der Antiglobalisierungsbewegung (Attac) um die Jahrtausendwende politisierte sich der Care-Diskurs seinerseits zu einer Bewegung, die kaum weniger als eine Rettung der Erde und ihrer Bewohner anvisiert, die von den sorgenden Tätigkeiten vor allem der Frauen her gedacht wird. Diesem öko-ethischen Verantwortungsimpuls wird inzwischen aus dem wachsenden Spektrum der Beteiligten eine politökonomische Dimension hinzugefügt, in der aus den Hausarbeitsdebatten der 1970er Jahre insbesonderere auf den „Bielefelder Ansatz“ von Maria Mies, Veronika Bennholdt-Thomsen und Claudia von Werlhof zurückgegriffen wird. Der hatte die marxistische Analyse dahingehend erweitert, dass die Bedeutung von „Subsistenzarbeit“ – oft synonym mit „Hausarbeit“ gebraucht – für den Kapitalismus erklärbar wird. Der Anspruch der Care-Bewegung ist offenbar, marxistische, ökologische, ethische und feministische Analysen zu verbinden, oder – wenn wir so wollen – mit dem gesammelten Know-how der sozialen Nachkriegsbewegungen an diese monströse Aufgabe heranzugehen. Denn das Ziel, auf eine Kurzformel gebracht, lautet schlicht: die Sorge um andere Menschen und den Erhalt der Lebensräume an die Stelle der Profitmaximierung zu setzen (siehe das Vorwort in Care statt Cash 2013).

In der neuen Bewegung sind viele Feministinnen aktiv, die sich aus dem zähen Ringen um egalitäre Gleichberechtigung ausgeklinkt haben bzw. bereits vorher andere Wege gegangen sind. Insofern ist die Care-Bewegung auch als die innerfeministische Opposition gegen einen aktuellen Mainstream- beziehungsweise gender-mainstreaming-Feminismus anzusehen, aber zugleich und vor allem richtet sie sich gegen den neoliberalen Kapitalismus selbst, mit dessen profitabler Einebnung von Geschlechterdifferenzen sich Feministinnen heute in oft unwillkommener Allianz finden. Die US-feministische Politikwissenschaftlerin Nancy Fraser spitzte diese Beobachtung 2009 in Blätter für deutsche und internationale Politik für die Frauenbewegungen der Wohlfahrtsstaaten folgendermaßen zu: Mit der Transformation des „staatlich organisierten Kapitalismus“ der ersten drei Nachkriegsjahrzehnte in den Neoliberalismus seit den 1970er Jahren hätten feministische Gesellschaftskritiken weitgehend unbemerkt folgenreiche Umdeutungen erfahren, die zur Entbindung des desorganisierten Kapitalismus beitrugen und schließlich auch zu einem cultural turn des Feminismus führten. Insbesondere die Kritik des „Familienlohns“, laut Fraser einst „Kernstück einer radikalen Analyse des androzentrischen Kapitalismus“, diene heute dazu, die Überbewertung der Lohnarbeit – und entsprechend die Durchsetzung des sogenannten One Adult Worker Modells, also die Erwerbstätigkeit aller erwachsenen Menschen, [I.S.] – noch zu verstärken.

Zusammenfassend trage ich zur Beantwortung meiner Ausgangsfrage, warum die Rede über „Care“ offenbar die über „Hausarbeit“ abgelöst hat, zwei Überlegungen bei:

1Hausarbeit wird in den neokapitalistischen Gesellschaften, wo alle gesunden, erwachsenen Individuen gezwungen sind, erwerbstätig – das heißt frei für den Arbeitsmarkt – zu sein, zunehmend reprivatisiert, dementsprechend schwer benennbar und erkennbar. Sie lässt sich auch nicht mehr mit einer abgrenzbaren Personengruppe verknüpfen, schon gar nicht mit „Frauen“, die ihrerseits unbenennbar geworden sind. Wegen der nunmehr in verschiedenen Formen aus dem Privathaushalt ausgelagerten Arbeiten entfällt prinzipiell auch das „Haus“ als Bezugsort. Die vorher unter Hausarbeit verstandenen Tätigkeiten werden mit anderen – früher oft als „hausarbeitsnah“ bezeichneten – Arbeiten unter einem neuen Bezugsbegriff zusammengefasst, der aktuellen politischen Intentionen gerecht wird.

2„Care“ pointiert die ethische Dimension bzw. den positiven Wert einer Arbeit, die in der Hausarbeitsdebatte fast ausschließlich unter dem Focus ihrer Ausbeutung gesehen wurde. „Care“ erlaubt es auch, die politische Ausrichtung auf den Staat zu lösen, der die neue Ökonomie längst nicht mehr organisiert. Zwar werden neuerdings ökonomische Ansätze eingebracht, die Care-Arbeit als unabdingbare Voraussetzung des Kapitalismus analysieren (Käthe Schirrmacher hatte 1905 von „conditio sine qua non der außerhäuslichen Berufsarbeit des Mannes“ gesprochen), aber nicht zufällig berufen sich die Autorinnen dabei nicht auf „Lohn für Hausarbeit“, sondern auf Subsistenzarbeit (Care statt Cash 2013, 86 ff., 106 ff.). Denn bei aller Heterogenität eint die Care-Bewegung das Ziel, mit einer angemessen bezahlten und in ihrer Qualität verbesserten Care-Arbeit eine lebenswerte Welt zu schaffen.

Literatur

Bock, Gisela und Barbara Duden (1977). Arbeit aus Liebe – Liebe als Arbeit. Zur Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus. In: Frauen und Wissenschaft. Beiträge zur 1. Sommeruniversität für Frauen. Hrsg. von Gruppe Berliner Dozentinnen. Berlin: Courage Verlag, 118–199.

Care statt Crash. Denknetz, Jahrbuch. (2013). Zürich: Edition 8.

Duden, Barbara (2009). Arbeit aus Liebe – Liebe als Arbeit. Ein Rückblick. Olympe 30:16–26.

Fraser, Nancy (2009). Feminismus, Kapitalismus und die List der Geschichte. Blätter für deutsche und internationale Politik 8:43–57.

Gilligan, Carol (1982). In a Different Voice. Psychological Theory and Women's Development. Cambridge, MA: Harvard University Press.

Kittler, Gertraude (1980). Hausarbeit. Zur Geschichte einer Naturressource. München: Frauenoffensive.

Sachse, Carola (2002). Der Hausarbeitstag. Gerechtigkeit und Gleichberechtigung in Ost und West 1939–1994. Göttingen: Wallstein.

Stoehr, Irene (1981). Ein sozialpolitischer Treppenwitz? Lohn für Hausarbeit 1905. Courage 5:34–39.