B Biologische Station

Katja Geiger, Thomas Mayer

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DOI

10.34663/9783945561126-03

Citation

Geiger, Katja and Mayer, Thomas (2016). B Biologische Station. In: Wissen Macht Geschlecht: Ein ABC der transnationalen Zeitgeschichte. Berlin: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.

Biologische Station Lunz (BSL), die; (lat. statio Stand, Standort; griech. bios und logos Leben und Lehre; Lunz, altslawisch loce, „auf der Wiese“, umgangssprachlich Carolas Spielwiese), ist eine der ersten wissenschaftlichen Einrichtungen zur Erforschung der Lebewesen und ihrer Lebensbedingungen im Süßwasser. Besonderes Kennzeichen der BSL ist ihre genuine Eignung als Ausgangspunkt für die wissenschaftshistorische Erarbeitung der Geschichte Biologischer Stationen im Rahmen eines Forschungsprojekts unter der Leitung von Carola Sachse.

Biologische Stationen entstanden vereinzelt seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und insbesondere um 1900 und entsprachen einem neuen Bedürfnis nach biologischer Forschung. Sie konstituierten gewissermaßen einen eigenen Forschungsmodus, den neuen „Wissensraum Biologischer Stationen“, indem sie die Errungenschaft biologischer Forschung des 19. Jahrhunderts, das Labor, mit dem Naturraum verbanden, sowie die dort agierenden Forscher_innen vernetzten. Biologische Stationen ermöglichten Langzeitstudien, die oftmals multidisziplinär organisiert waren und in denen die dort tätigen Wissenschaftler_innen die Forschungsobjekte in ihren Lebenszusammenhängen beobachten und mit ihnen experimentieren konnten. Zugleich wurden an den Biologischen Stationen biologische Forschungsparadigmen transformiert, wenn an der Station nicht mehr jenes Wissen, das an geographisch unterschiedlichen Orten erworben wurde, leitend war, sondern das punktuelle, an den Wissensort der Station gebundene Wissen im Mittelpunkt der Betrachtungen stand. Wie neueste wissenschaftshistorische Studien zeigen, förderte gerade die Gründung Biologischer Stationen neue Wissenszusammenhänge, wie neue wissenschaftliche Praktiken, Theorien, aber auch Forscher_innennetzwerke und nicht zuletzt die Errichtung ganzer Disziplinen, wie der Ökologie oder der Limnologie.

Biologische Stationen entsprachen einem neuen Typus außeruniversitärer Forschungsanstalten, zu denen auch Versuchsanstalten zählten, an denen vor allem landwirtschaftliche, technische und gewerbliche, aber auch experimentell-biologische Interessen verfolgt wurden. Beispiele sind etwa das „Vivarium“ in Wien oder das 1912 gegründete Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie in Berlin.

In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden jene Biologische Stationen, die der Forschung rund ums Wasser gewidmet waren, wobei zuerst Stationen am Meer, und mit kleiner zeitlicher Verzögerung auch Stationen an Seen errichtet wurden. Die BSL in Niederösterreich stand 1905 am Anfang einer Gründungswelle von Süßwasserstationen, die in Abgrenzung zur Fischereiwirtschaft und -biologie explizit als eigenständige Forschungseinrichtungen, und nicht etwa als Außenstellen einer Universität, in ganz Europa, den USA und Russland gegründet wurden.

Die Gründung der BSL 1905 ereignete sich in einer Zeit, zu der sich das Feld der Biowissenschaften auszudifferenzieren begann. Mit der Aushandlung wissenschaftlicher Schwerpunktsetzungen ging auch die Besiedlung neuer Orte einher, an denen die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Aspekten des Lebendigen/der Natur stattfinden sollte. Die Errichtung von Süßwasserstationen, wie etwa der Hydrobiologischen Station Plön als erste einer solchen Einrichtung (1891) oder der Biologischen Station Lunz als zweite selbständige Institution dieser Art in Westeuropa, hatte die Ansiedlung von Forschung so nah wie möglich am Untersuchungsgegenstand zum Ziel. Biologische Stationen sind in dieser Hinsicht als neue Wissensorte der modernen Biowissenschaften zu verstehen.

Im Unterschied zu etwa der primär experimentell ausgerichteten Biologischen Versuchsanstalt im Wiener Prater („Vivarium“) stand der Naturraum um die Station in Lunz im Zentrum der wissenschaftlichen Betrachtungen: der Wissensort selbst war Forschungsprogramm. Demnach war es auch kein einheitliches Forschungsprogramm, das Wissenschaftler_innen bewog nach Lunz zu kommen. Vielmehr fanden während des 98-jährigen Bestehens vielfältige Forschungsrichtungen und Vetreter_innen unterschiedlicher Disziplinen der Biowissenschaften in Lunz Organismen, experimentelle Settings und Forschungsfragen vor. Am Lunzer Standort wurde darüber hinaus die Ausbildung des akademischen Nachwuchses der Lebenswissenschaften zum Programm erhoben und seit den 1910er Jahren Kurse mit internationaler Beteiligung durchgeführt.

Der Aspekt der Vernetzung von Forscher_innen prägte generell derartige Biologische Stationen, die als Orte verstanden werden können, die den wissenschaftlichen und sozialen Austausch der anwesenden Forscher_innen, ihrer Konzepte und Forschungsobjekte ermöglichten. Außerdem waren sie dem materiellen Austausch gewidmet. Forscher_innen kamen der Natur und ihrer Organismen wegen an die jeweilige Biologische Station: um zu sammeln, um zu beobachten und um zu experimentieren. Vor Ort konnte oftmals an den teils fragilen, teils in ihrer ‚natürlichen‘ Umwelt belassenen Organismen im Freien, wie auch im Labor experimentiert werden. Die von Robert Kohler konstatierte border zone biologischer Forschung, die widerspenstige und produktive Zusammenschau von Beobachtung im Freien und Experiment im Labor in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, kann daher gerade auch an Biologischen Stationen beobachtet werden. Für die Forschung am und im Süßwasser war diese Konstellation um 1900 neu, weshalb die 1905 gegründete BSL hier am Anfang einer Entwicklung stand.

Gleichwohl handelte es sich bei Biologischen Stationen nicht um Institute mit festgelegtem Programm und fixer wissenschaftlicher Ausrichtung, sondern um einen hybriden Wissensort, der die Untersuchungsgegenstände in ihrem unmittelbaren Natur-Zusammenhang und das Labor räumlich vereinte. In diesen border zones wurden Gegenstände, Methoden und Zugänge verschiedener biowissenschaftlicher Fachrichtungen in verschiedenen Konstellationen komponier- und realisierbar. Wie attraktiv dieser neue Zugang für die internationale scientific community war, lässt sich an der Präsenz einer großen Zahl an Gastwissenschaftler_innen aus dem In- und Ausland erkennen, die für kürzere oder längere Zeit an der BSL geforscht haben.

Die Biologische Station in Lunz kann im oben geschilderten Sinn als ein besonders geeignetes Beispiel für Erforschung von Süßwasserstationen verstanden werden. Dieses Unterfangen wird nicht „für die Fisch“* gewesen sein – denn die wurden in Lunz sowieso kaum beforscht, sondern höchst delikat verspeist: und mit gewissen Traditionen sollte nicht gebrochen werden.

*für die Fisch: Altwiener Kaffeehausdeutsch für umsonst, vergeblich.